KUNDEN WOLLEN MEHR ALS EIN AUTO - Interview mit Esther Bahne - Leiterin Mini Brand Strategy und Business Innovation

Was hält Sie nachts wach?

Mein Team von 45 Leuten arbeitet momentan an 15 großen Strategie- und Innovationsprojekten gleichzeitig. Ich springe von einem Fashion-Termin morgens zu einem Architektur-Meeting, und über Mittag sitze ich mit meinen Strategen an einem Visionspaper zu einem ganz neuen Verständnis von automobilem Retail. Diese Bandbreite ist wahnsinnig spannend, setzt aber hohe Konzentration voraus. Die nötige Bettschwere bringe ich abends dann immer mit. Das einzige, was mich nachts wach halten würde, wäre das Gefühl des Stillstands. Das ist mir in meinem Job zum Glück noch nie passiert.

Was sind die Schwerpunktthemen der Projekte?

Die Mission meines Teams ist es, disruptiv zu denken und zu handeln. Also die firmeneigenen Glaubenssätze zu hinterfragen und blinden Flecken aufzudecken, bevor uns externe Entwicklungen überraschen – und dann Chancenfelder aufzutun und neue Produkte zu entwickeln. Wir stellen uns bei Mini der Frage, wie Menschen in den Städten der Zukunft leben wollen und welche Rolle wir darin spielen werden. Wie bringen wir in Zukunft Autos an den Mann/die Frau? Möchten sich Menschen noch durch 150 Optionen klicken? Oder ist die Individualisierung der Zukunft eine Folge von limitierten Kleineditionen, die ich mit einem Klick kaufe? Wollen sich Kunden noch jahrelang an ein Auto binden, oder maximal flexibel Autos und Mobilitätspakete buchen? Und biete ich auf der gleichen Plattform auch noch Wohnungen und Modeartikel an? Wenn ich mir diese Fragen zuerst stelle, wird mir vielleicht klar, dass ich gar keinen Konfigurator mehr brauche, sondern eine ganz andere Lösung.

Von welchem Unternehmen können Sie am meisten für die Zukunft lernen?

Mich inspiriert vor allem Agilität und erfolgreiches „Sich-Neu-Erfinden“. Am Ende setzt sich aber nicht die beste Idee, sondern das beste Team durch. Von Großunternehmen kann man lernen, zu seinen Werten zu stehen und sich treu zu bleiben. Und da kommt man am oft gepriesenen Vorbild Patagonia nicht vorbei. Eines der ganz wenigen Unternehmen, denen ich folge – und von denen ich mir auch ganz konkret etwas abgeschaut habe: Ich gehe tatsächlich auch mit meinem Team surfen.

In welche Richtung werden sich die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Kunden weiter verändern?

Autokunden werden Mobilitätskunden – das ist eine Entwicklung, die keinem in der Branche entgeht. Auch wenn man trefflich darüber streiten kann, wie schnell diese Entwicklung sich durchsetzt, mit welcher Durchdringung und ob nur in Städten oder auch auf dem Land. Ich gehe davon aus, dass Kunden keine Interaktion mehr mit Marken suchen werden, die ihnen keinen echten Mehrwert bieten. Wir wissen, dass wir eine bestimmte Gruppe von kreativen, urbanen jungen Leuten ansprechen wollen. Um die zu erreichen, kann ich ein Event sponsern – oder ich biete ihnen ein Zuhause. Das ist das, was wir tun. Unser Ziel als Strategen muss sein, dass die Leute sagen: Wenn die Marke Mini aus meinem Leben verschwindet, dann würde mir wirklich was fehlen. Das bedeutet Relevanz. Darüber hinaus glaube ich, dass ganzheitliche Angebote für das Leben unserer Zielgruppe relevanter werden. Unsere Kunden wollen sich weniger Einzelangebote zusammensuchen, sondern schätzen Marken, die über den Tellerrand ihres singulären Produktes schauen und den Kontext verstehen, in dem sich ihre Kunden bewegen.

Was bedeutet für Sie Erfolg heute und was wird sich in Zukunft an den Bestandteilen von Erfolg ändern?

Ich würde sagen, jeder wünscht sich Projekte mit echtem Impact. Ich fange gerne von Null an, entwickle Vision und Strategie und bringe dann etwas Fertiges auf die Straße.

Was war einer Ihrer größten Fehler in der Vergangenheit und wie haben Sie daraus gelernt?

Der größte Fehler, den ich die letzten Jahre gemacht habe, war vermutlich, zu glauben, wir müssten alles selber machen. Bis heute lagere ich ungern kreative Arbeit aus und versuche, alle entscheidenden Kompetenzen in meinem Team zu vereinen. Das macht aber auch langsam. Inzwischen habe ich gelernt, auf Kooperation zu setzen: In China arbeiten wir mit einem lokalen Partner an Mini Living – und plötzlich geht alles viel schneller. Unseren Accelerator stemmen wir inzwischen mit einem Venture Partner zusammen – das macht vieles einfacher und zugleich noch erfolgreicher. Da geht es der Autoindustrie im Übrigen ganz ähnlich: Statt Alleingängen, das glaube ich fest, werden wir in Zukunft mehr Zusammenarbeit sehen, innerhalb und über die Branche hinaus.

Wie wird sich die Branche in Zukunft weiterentwickeln und weiter verändern?

Die Grenzen zwischen Sektoren werden verschwimmen. Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns als Unternehmen stärker in das Gesamtsystem Stadt integrieren müssen. Das wird herausfordernd, weil wir uns stärker anpassen und mit unterschiedlichen Partnern kooperieren müssen – aber auch hochspannend. Wenn Mobilität, Arbeit, Wohnen ineinander laufen, werden ganz neue, spannende Lösungen entstehen.

stefanie unger