WIR SIND STOLZ AUF UNSERE KUNDENBESESSENHEIT - Interview mit Eric Liedtke, Mitglied des Vorstands adidas

 Was hält Sie nachts wach?

Unser Output sind unsere Produkte. Wir sind ein produzierendes Unternehmen, und was mich nachts wach hält, das ist die Frage: Wie verbessern wir unseren Output? Der Output mag ein vom Kunden individuell gewünschtes Produkt sein. Es geht aber auch darum, wie wir eine Kultur des richtigen Verhaltens schaffen, um das Potenzial unseres wertvollsten Gutes freizusetzen, nämlich das Potenzial unserer Mitarbeiter. Für mich als Führungskraft ist das die erste, zweite und dritte Priorität zugleich. Wir nennen das “die Kultur der drei Cs”: “creativity”, “collaboration” und “confidence”. Eine Kultur ist niemals einfach vorhanden, und es ist die Aufgabe des Chefs, dafür zu sorgen, dass diese Kultur jeden Tag aufs Neue von der höchsten Hierarchie-Ebene abwärts mit Leben erfüllt wird. Richtiges Verhalten muss ebenso Konsequenzen haben wie schlechtes. 

Und wie erreichen Sie das?

Wir nennen das “die Kultur der drei Cs”: “creativity”, “collaboration” und “confidence”. Eine Kultur ist niemals einfach vorhanden, und es ist die Aufgabe des Chefs, dafür zu sorgen, dass diese Kultur jeden Tag aufs Neue von der höchsten Hierarchie-Ebene abwärts mit Leben erfüllt wird. Richtiges Verhalten muss ebenso Konsequenzen haben wie schlechtes.

Wie finden Sie heraus, was sich Ihre Kunden wünschen, wonach sie suchen?

Wir sind stolz auf unsere Kundenbesessenheit. Die bedeutet, dass wir uns um den Kunden herum organisieren: Wir stellen ihn in den Mittelpunkt und ermutigen unsere Mitarbeiter, ihn so für uns zu gewinnen. Wir weisen unseren Managern spezifische Rollen zu. So haben wir einen Manager für Sport und Style, einen für Football, einen für den Bereich Fitness und so weiter. Jeder Einzelne von ihnen ist dazu aufgefordert, den Kunden zu gewinnen. Er wird sehr transparent daran gemessen, wie hoch sein persönlicher Umsatz und sein Net-Promoter-Score sind. Dies folgt dem Grundgedanken, dass alle Mitarbeiter dazu ermutigt werden sollen, ihre Kunden gemäß eines sehr klaren Handlungsmodells zu gewinnen. Man gibt ihnen volle Verantwortlichkeit innerhalb des Handlungsmodells, und dann sorgt man dafür, dass sie über Performance-Kultur verfügen. Wir kommen den Wünschen unserer weltweiten Kunden extrem weit entgegen, und wir fragen uns ständig, wie wir sie sowohl finanziell als auch durch Fürsprache Einsatz erreichen können. Messen lässt sich das anhand des Netto-Promoter-Scores. Wir gehen in den Markt, führen Zielgruppenbefragungen durch, begleitete Shopping-Gruppen, etc. Wir tun alles uns Mögliche, sobald wir unsere Kunden verstehen und wirklich mit ihnen interagieren.

 Von welchem Unternehmen können wir am meisten lernen und warum?

Es gibt da viele, und daher  würde ich mich ungern auf nur eines beschränken. Ich neige dazu, solche Unternehmen zu nennen, die kulturelle Vorreiter sind. Die High-Tech-Welt zieht mich immer schon an. Als ich meine neue Rolle vor dreieinhalb Jahren übernahm, gehörte es zu den ersten Maßnahmen, mit in paar Bussen Google in Zürich zu besuchen. Einfach um etwas über Ihre Kultur zu lernen. Es ging nicht darum, bessere Werbeflächen bei Youtube zu kaufen oder um die Suche nach einem Ansatzpunkt für andere vordergründige Optimierungen. Es ging darum, wie sie ihre Mitarbeiter stärken, wie sie cross-kulturelle Innovationen von Weltklasse etablieren. Wir haben von Google gelernt und ebenso von Facebook sowie auch von Pixar – wir folgen gern den jeweils wichtigsten kulturellen Vorbildern. Letztlich muss ich noch einmal auf den Punkt zurückkommen, dass unsere Mitarbeiter unser wertvollstes Potenzial darstellen. Wie schaffen Sie also eine Kultur, die denen den Raum lässt, um zu gewinnen?

Wer sollte in einem Unternehmen dafür verantwortlich sein, sich mit der Zukunft zu befassen?

Das ist eine große Frage, die sich nicht leicht beantworten lässt. Von meinem selbstsüchtigen Standpunkt eines CMO aus gibt es auf vielen Gebieten Menschen, die sich mit der Zukunft beschäftigen. Als Mitglied des Vorstands bin ich für globale Marken sowie in diesem Kontext für alles Kreative verantwortlich … hinsichtlich der Produkte, der Firmen etc. Daher muss ich mich gemeinsam mit meinem Führungsteam als meinem engsten Umfeld zumindest mit den nächsten fünf Jahren befassen. Wenn Sie sich die anderen Verantwortlichkeiten der Vorstandsmitglieder anschauen, dann haben Sie da einen CEO, einen CFO, einen Chief Sales Officer und sie haben einen COO. Naturgemäß kümmern die sich alle eher um das zeitnahe operationale Geschäft – vielleicht mit Ausnahme des CEO. Weil aber die Produktionspläne stets so einen großen Vorlauf haben, müssen wir zudem ständig im Blick behalten, was als nächstes ansteht oder was irgendwann später auch noch auf uns zukommt. Ich habe schon nachzudenken begonnen, als was wir im Jahr 2025 dastehen müssen. Nicht so sehr als finanzielle Herausforderung, sondern als Unternehmen und als Marke. Was erwartet der Kunde von uns, wenn wir die beste Sportmarke der Welt sind? Wenn heute 2017 ist und wir also das Jahr 2020 bereits in Sichtweite haben, was sind dann die Erwartungen für einen drei- bis fünfjährigen Sprint? Die Frage ist, wie wird unsere zukünftige Einnahmequelle aussehen, wenn sie heute zu 100 % auf Shirts, Schuhen und Accessoires basiert? Sollten wir eine zusätzliche Quelle in Form einer Art Service-Mitgliedschaft einführen? Sollte das in Zukunft 20 % unserer Bruttoeinnahmen ausmachen? Falls ja, woher kommt das dann? Dies meine ich, wenn ich davon spreche, “in die Zukunft zu schauen”. Aus meiner Sicht fällt das in den Verantwortungsbereich des Marketings, denn die sind es typischerweise, die von einem Produktentwicklungs-Standpunkt aus weiter vorausschauen müssen.

 Wie lang- oder kurzfristig sollten wir die Zukunft planen?

Unterschiedlich. Vom Standpunkt der Produktentwicklung aus haben wir drei- bis siebenjährige Horizonte. Zudem haben wir auch noch eine Gruppe, die sich mit der ferneren Zukunft befasst, also über die Sieben-Jahres-Marke hinaus, aber gemäß des strategischen Businessplans schauen wir zyklisch fünf Jahre voraus. Aktuell befinden wir uns also in der Mitte unseres “2020”-Plans. Aber während ich vorausschaue, arbeiten wir schon am nächsten Fünfjahresplan. Alles jenseits von drei Jahren ist meiner Ansicht nach Kristallkugel-Territorium. Man kann vorausplanen und Dinge entwickeln, aber am Ende ist nichts wirklich konkret planbar, das mehr als drei Jahre voraus liegt. Du weißt es einfach nicht. Alles andere wäre naiv. In der heutigen Welt ändern sich die Dinge zu schnell.

 Mit wem unterhalten Sie sich außerhalb Ihres eigenen Felds, um für Ihr Business eine andere Perspektive zu bekommen?

Ich reise gern viel und suche dabei immer nach externen Erkenntnissen. Ich bin darum bemüht, mich mit dem Silicon Valley und mit Seattle vertraut zu machen, denn es gibt die Möglichkeit, den Schritt in diese zwei Umgebungen zu unternehmen. Im Sommer arbeite ich von unserer Amerika-Zentrale aus immer in Portland, Oregon, einfach damit ich schneller ins Silicon Valley oder nach Seattle komme. Ich verbringe auch gern Zeit in L. A. Wir haben das Privileg, mit Musikern, Sportlern und andern großen Talenten zu kooperieren. Also verbringe ich Zeit mit einigen unserer Endorser und Partner … einfach nur, um den Menschen bei ihrer Arbeit zuzusehen. Im letzten Jahr hatte ich die Gelegenheit, die Führungsebenen von Starbucks, Microsoft, Facebook, Google, Netflix, Entertainers und Carbon zu treffen. Letzteres ist ein 3D-Printing-Unternehmen, mit dem wir erst kürzlich eine Kooperation eingegangen sind. Außerdem gab es Begegnungen mit einigen der Risikokapital-Fonds im Silicon Valley sowie mit einigen interessanten Start-ups. Wir wollen vielseitig engagiert bleiben, eine wirklich breite Palette von Perspektiven erhalten, wohin die Dinge sich entwickeln und was dabei unsere Rolle sein soll. Das ist für jeden in meiner Funktion von entscheidender Bedeutung. Von einem strategischen Blickwinkel aus weiß man besser genau, was die Gestalter der Welt heute gerade tun und wohin sie unterwegs sind. Solche Gespräche sind für uns ziemlich fruchtbar.

Was bedeutet für Sie Erfolg und was werden Sie in Zukunft daran ändern?

Am Ende des Tages werden wir an unserem finanziellen Erfolg gemessen. Das ist das Spielfeld, auf dem wir uns bewegen. Wir sind eben nur ein Unternehmen, das Profit erwirtschaften soll. Von Zeit zu Zeit streite ich mit meinem CEO – und am Ende möchte ich einfach gewinnen. Wir sind Teil der Sportindustrie, also haben wir alle einen Sport-Hintergrund. Wir alle denken, dass Konkurrenz ziemlich cool ist, und wir wollen alle gewinnen.

Wir definieren uns darüber, wie Leute uns wahrnehmen und was sie über uns sagen. Unter dem Strich bedeutet Erfolg für uns, die größte und beste Sportmarke der Welt zu sein. Und wir werden nie das eine für das andere vernachlässigen.

 Welche Eigenschaften wünschen Sie sich bei Leuten, die Sie einstellen wollen oder mit denen Sie arbeiten?

Ich will Leute, die Erfinder und Macher sind, die keine Angst davor haben, etwas zu zerstören, um es dann neu zu machen. Leute, die den erreichten Status quo ständig und immer wieder infrage stellen.

Die Kerntugenden nach denen ich suche sind in erster Linie Authentizität, als wichtigster Charakterzug jeder guten Führungskraft, Empowerment der Mitarbeiter und Bescheidenheit.

Was war in der Vergangenheit einer Ihrer größten Fehler und was haben Sie daraus gelernt? Wie hat er Ihr Verhalten verändert?

Das waren so viele! Ich schätze, einer meiner jüngsten Fehler unterlief mir bei der Einführung von Boost. Boost ist ein Schaum, den wir herausgebracht haben, und zwar der Schaum mit den besten Eigenschaften der gesamten Industrie. Eine der großartigsten Innovationen, die die Industry je gesehen hat. Und als wir ihn auf den Markt brachten, da sagten wir, er werde alles andere überflüssig machen … was natürlich großartig, herausfordernd und aufregend ist. Aber wir haben ihn binnen zu kurzer Zeit in zu vielen Produkten verarbeitet. Der Verbraucher hörte von Boost, ging ins Geschäft und fragte nach dem Schuh mit Boost. Der Verkäufer zeigte dann auf vierzig verschiedene Paare, und der Verbraucher war überfordert. Anschließend verwendeten wir Boost in allem, was wir produzierten, aber wir verwendeten den Produktnamen in nur zwei Produkten. Wenn der Verbraucher nun also hereinkommt und sagt, er wolle ein Paar mit Boost darin, dann sagt der Verkäufer, “Wollen Sie den Schuh mit dem Ultra-Boost oder den mit dem puren Boost?”. Boost steckt heute auch in anderen Produkten, aber der Name steht nicht darauf. Das ist eine Marketing-Feinheit, aber es ist zugleich eine der smartesten Lösungen, die wir gefunden haben, denn mittlerweile ist Boost eine der gefragtesten Marken der Industrie. Und nicht nur der Industrie, sondern auch all unserer Kunden.. Es für den Verbraucher immer übersichtlich zu halten, selbst als Verbraucher zu denken und ihn zu verstehen, das war es, was ich hieraus gelernt habe.

Wo sehen Sie im Moment in Ihrem Bereich die größten Investments? Was sind Ihre größten Investments?

Momentan investieren wir weiter in alle Zukunftsinnovationen, worüber ich natürlich nicht sprechen darf. Wir investieren wie verückt im digitalen Bereich. Digital ist unser Ziel Nummer eins. Wir haben uns selbst Ziele gesteckt, um unseren E-Commerce-Handel bis zum Jahr 2020 von 1 Milliarde auf 4 Milliarden zu bringen, und wir investieren aggressiv in alles, was die digitale Welt derzeit so bietet.  

Wie würden Sie das Bild eines innovativen Zukunftsunternehmens beschreiben?

Es muss eine Organisation sein, die ihre Leute befähigt, den Verbraucher zu gewinnen. Das schafft nur ein agiles Unternehmen, das sich durch ein höchstes Maß an Kollaboration auszeichnet. Das sich selbst wirklich in Intervallen von nur 90 Tagen bewerten und anpassen kann. Dinge, die ich über die digitale Welt lerne und Dinge, die ich über die Welt lerne, in der wir leben – hier in Deutschland – sind weniger hierarchische Dinge. Es geht vielmehr darum, wendiger und agiler zu werden … und daran zu arbeiten, objektive Ergebnisse mithilfe einer Methodologie zu erreichen, die wir der digitalen Welt nachempfinden. Wenn man das verinnerlicht, dann kann man wirklich wendig und schnell vorankommen.

 Wer oder was inspiriert Sie und welchen Einfluss hat das auf ihren Job?

Im Alltagsgeschäft muss es für unser Handeln ein Warum geben. Ich bin ein großer Fan von Simon Sinek, wenn es darum geht, was unser Warum ist. Und ich denke, wenn wir das wirklich durch Sport etablieren können, dann haben wir die Kraft, Leben zu verändern. Wir nehmen das sehr ernst, und das Schlüsselwort ist, dass WIR durch den Sport die Kraft haben, Leben zu verändern. Wenn ich nur eine einzige Person herausgreifen müsste, die das verkörpert, jemand Externen, dann würde ich sagen, das ist Howard Schulz von Starbucks. Aber ich würde auch sagen, dass ich von allen Leuten beeinflusst und inspiriert werde, die um mich herum großartige Dinge tun … die leben und gleichzeitig tun, was sie tun. Ob sie bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise helfen oder Kunststoffe aus dem Ozean filtern: Es gibt so viele Menschen, die großartige Dinge tun, um die Welt zu verbessern!

stefanie unger