EINE SICH NEU ZU DEFINIERENDE WELTORDNUNG - Interview mit Karl Theodor zu Guttenberg, Chairman der Investment- und Beratungsfirma Spitzberg Partners
Was hält Sie nachts wach?
Der Gedanke an die Zukunft meiner Kinder in einer sich neu definierenden Weltordnung.
Wie würden Sie diese neue Weltordnung beschreiben?
Als nicht mehr den Maßstäben genügend, die sich in die Köpfe heutiger Entscheidungsträger eingebrannt haben. Es ist eine sehr viel volatilere, eine von neuen geopolitischen Entscheidungsträgern gestaltete Welt, die nicht mehr den klassischen Mustern entspricht. Wir sprechen nicht mehr über irgendwelche Regierungen, die sich eine Weltordnung zurechtlegen. Wir haben mittlerweile große Tech-Konzerne, die über ein Machtpotenzial verfügen, das sie selbst zum Teil noch gar nicht richtig wahrnehmen – das aber enorme Auswirkungen auf nahezu alle gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen hat. Das ist etwas, was als solches noch in keine Form gegossen ist – und es wird noch in einer völlig unkoordinierten Art aufgegriffen. Das hält mich nachts wach.
Gibt es einen Politiker oder eine Politikerin, von der wir lernen können?
Eine Antwort im positiven Sinne fällt mir schwer, da in unseren westlichen Demokratien die meisten Politiker von den Umständen so eingeschränkt sind, dass ihr eventuell vorhandenes Potenzial gar nicht zum Ausdruck kommt. Am ehesten können wir momentan wahrscheinlich von denjenigen lernen, die sich von den Werten in unserem westlichen System am radikalsten abwenden. Damit will ich diese Leute nicht positiv beurteilen. Aber wir sollten die Erfolgsgeschichte dieser nationalistischen Populisten genau analysieren und unsere Schlüsse daraus ziehen.
Wie beschäftigen Sie sich mit dem Thema Zukunft, wie lang- beziehungsweise kurzfristig betrachten und planen Sie Ihre Zukunft?
Bei unseren Investments und bei unserer Beratung ist es ein Mix aus beidem. Grundlage sind meine Erfahrungswerte, die ich in Wirtschaft und Politik gewinnen durfte. Man hat eine Neigung dazu, sich sehr schnell in Ad-hoc-Entscheidungsmuster drängen zu lassen und wagt so den größeren, langfristigen Blick nicht mehr. Es gibt Elemente des Tagesgeschäfts, die über einen gewissen Zeithorizont gar nicht hinausgehen können. Auf der anderen Seite ist es für mich entscheidend, dass die Dinge, die ich anpacke, eine Generationenperspektive haben. Von mir getroffene Investitionsentscheidungen sind in der Regel immer langfristig. Wenn das nicht gegeben ist, nehme ich gerne Abstand.
In welchen Bereichen investieren Sie, wo sehen Sie Ihre Chancen?
Wir richten unseren Blick auf die geopolitische Lage, was aber nichts mit klassischer Sicherheitspolitik zu tun hat. Sondern es kann sich dabei beispielsweise um künstliche Intelligenz oder um Big Data handeln. Was in Amerika funktioniert, kann in Deutschland auf große Barrieren stoßen. Was in Indien funktioniert, kann sich in China komplett anders entwickeln. Dann haben Sie es mit Unternehmen zu tun, die global aufgestellt sind und die durch das Internet und die Blockchain keine Grenzen kennen. Das sind Entwicklungen, die uns sehr interessieren. Spannend ist auch das ganze Thema Internet der Dinge – also Trends, die das Potenzial haben, die existierende Ordnung auf den Kopf zu stellen oder es bereits tun.
Mit welchen branchenfremden Personen beziehungsweise Bereichen tauschen Sie sich aus, um mal einen ganz anderen Blickwinkel auf Ihr Geschäft zu werfen?
Das fängt schon mit den Leuten an, die ich bei uns anstelle. Ich will von Menschen umgeben sein, die über Erfahrungswerte verfügen, die ich in der Tiefe nicht habe. Leute, die in der Lage sind „Thinking outside of the box“ zu gewährleisten. Von daher kann für ein technologisches Problem von einem Historiker, einem Philosophen, einem Biologen oder einem Neurowissenschaftler eine viel spannendere Lösung kommen als von einem Programmierer oder Ingenieur. Es ist geradezu eine Notwendigkeit, sich ein eklektisches Umfeld zu schaffen.
Welche Rolle spielt Unternehmenskultur heute und welchen Einfluss wird die Zukunft auf sie haben bzw. welche Veränderungen mit sich bringen?
Unternehmenskultur wird immer eine Rolle spielen, muss aber neu definiert werden. Wir befinden uns hier in unterschiedlichen Zügen mit sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Unternehmenskultur eines klassischen deutschen Mittelständlers unterscheidet sich fundamental von einer Start-up-Kultur, die Sie hier in New York oder an der US-Westküste vorfinden. Genauso unterscheidet sich eine Start-up-Kultur in Berlin von der, die Sie hier vorfinden und von der in Israel oder Indien. Es gibt keine Blaupause dafür, sondern es hängt davon ab welche Individuen, ein Unternehmen gründen und leiten, welche Führungsqualitäten sie mitbringen und welche Werte sie in ein Unternehmen einbringen. Dadurch definiert sich eine individualisierte Unternehmenskultur. Von Schablonen halte ich gar nichts.
Was bedeutet für Sie Erfolg heute und was glauben Sie, wird sich in der Zukunft an den Bestandteilen Ihres Erfolgs ändern?
Erfolg wird klassisch – ob man es mag oder nicht – an Zahlen gemessen. Erfolg wird aber auch an Perspektive gemessen. Und da gibt es schon einen Unterschied. Erfolg bemisst sich in dieser Hinsicht daran, ob Sie wirklich einen Zukunftsbeitrag leisten – nicht nur ihr Unternehmen, sondern auch die Mitarbeiter. Die Gesellschaft muss natürlich in der Lage oder willens sein, die Kommunikation entsprechend zu führen. Das ist nicht ohne Risiko, weil sie immer wieder daran gemessen werden, wie hoch Ihre Ziele waren. Da lohnt sich auch wiederum der Blick zu den Technologie- und Digitalunternehmen und nicht nur zu den Kolossen. Die Bereitschaft dort ein Risiko einzugehen ist bei weitem höher, was oft auch daran liegt, dass die großen Konzerne mit obszön vielen Mitteln unterfüttert sind und diese sogenannten Moonshots wagen können. Damit schaffen sie einen Identifikationsgrad der gekoppelt ist an Ziele, die viele Menschen mehr interessieren als die Ziele, die sich ein deutscher Finanzdienstleister oder ein traditionelles Automobilunternehmen setzen. Solche Ziele könnten dann sein: Wir wollen das Leben der Menschen verlängern, wir wollen für Menschen die Möglichkeit schaffen, außerhalb der Erde zu leben. Man kann diese Leute natürlich als verrückt bezeichnen, aber aus solchen Ideen erwachsen Schritte, die durch Zögern und Zaghaftigkeit nicht zustande gekommen wären. Anderen Unternehmen fehlen offensichtlich die Bereitschaft oder der Wille zu sagen: Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, dass die nächste Generation uns als ein hoch interessantes Unternehmen wahrnimmt! Ich glaube, dass dieser Reputationsaspekt in der Zukunft viel wichtiger wird.
Was war einer Ihrer größten Fehler in der Vergangenheit und wie haben Sie daraus gelernt bzw. Ihr Handeln verändert?
Sicherlich Selbstüberschätzung und zumindest im politischen Leben zu wenig zu delegieren und zu viel an sich zu ziehen. Daraus hart lernen zu dürfen, ist eine zumindest heilsame Erfahrung gewesen.
Was für Risiken und Chancen sehen Sie in der aktuellen Flüchtlingsproblematik?
Die Risiken sind zahlreich beschrieben. Eine Chance wäre, dass wir in Deutschland eine gewisse Arbeitskraftnachfrage befriedigen können – das gelingt aber nur, wenn wir das Problem der Integration bewältigen. Sie können am Arbeitsplatz nur bedingt jemanden integrieren, wenn sie gleichzeitig die gesellschaftliche Integration nicht hinbekommen. Nicht wenige der knappen Million Menschen, die gekommen sind, werden bleiben. Das wird noch eine enorm komplexe Aufgabe. Jede Kultur kann durch eine andere enorm bereichert werden, aber die eigene sollte nicht aufgegeben werden. Und das sind Spannungsfelder, die in meinen Augen noch nicht wirklich einer Lösung zugeführt sind.
Wie wird sich die politische Entwicklung in Sachen USA, Russland etc. auf die globale Marktwirtschaft und Unternehmen auswirken?
Too early to tell! Das ist noch nicht erkennbar zum jetzigen Zeitpunkt. Die Trump-Administration eiert und wackelt von einer konträren Ansicht zur anderen, was Russland betrifft. Das wird nicht zwingend besser und es macht das Leben in Europa nicht leichter, das zwischen diesen beiden Interessenfeldern natürlich immer wieder einen Konflikt sieht.
Welche Veränderungen erwarten Sie insgesamt in der Zukunft in der politischen Arena?
Die Gegenwart der Politik ist schon eine nacheilende und eine, die angesichts der Geschwindigkeit der heutigen Entwicklungen kaum mithält. Ich komme zurück zu den neuen Technologien: Mittlerweile lebt man wieder auf zwei komplett unterschiedlichen Planeten und teilweise sind das dann regulatorische Panikreaktionen aus der Politik – oft Jahre nachdem bestimmte Entwicklungen eingetreten und schon wieder weiter fortgeschritten sind. Deswegen ist die Rolle der Politik derzeit mit Blick auf wirtschaftliche Entwicklungen nicht nur eine konstruktive, produktive, sondern eine rein reaktive. Kann und wird man das ändern können? Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber es bedarf in der Politik wirklich eines fundamentalen Umdenkens und höherer Kompetenz auf Wirtschafts- und Technologieebene.